Reisebericht 2016

Am 28. Februar fliege ich wieder nach Sicilia. Es geht nur an die Nordküste, denn bei meinen vielen Besichtigungsterminen reicht eine Woche leider nur für diese Seite Siziliens.

Meine Wetter-App hat für die ganze Woche schönstes Wetter mit Temperaturen zwischen 16 und 19 Grad versprochen. Darum ist mein Koffer gefüllt mit lauter Frühlingssachen, neuen Turnschuhen und ich freue mich sehr auf das schöne, warme Wetter. Der Flug ist ruhig und entspannt. Kurz vor der Landung sehe ich am Fenster Wasserschlieren. „Kann ja gar nicht sein. Woher kommt das Wasser?“, denke ich. Nach dem obligatorischen Applaus der Passagiere nach der geglückten Landung steige ich aus dem Flugzeug und draußen erwartet mich Regen.... Na ja, auch in Sizilien kann es ja mal regnen. Mein Koffer ist auch angekommen „wie schön“, denke ich, packe alles zusammen, erledige den notwendigen Schreibkram mit dem Mietwagen und hole mein kleines Auto, einen praktischen Fiat Panda auf dem Parkplatz ab. Es windet und ist richtig ungemütlich. Inzwischen ist es schon dunkel geworden. Die erste Übernachtung habe ich in Castellammare del Golfo gebucht. Wie üblich sind die Straßenmarkierungen auf dieser Insel nicht vom feinsten. In der Dunkelheit und bei dem starken Regen sieht man nur sehr schlecht. Spät aber trotz aller Widrigkeiten komme ich gut in der kleinen albergo in Casellammare del Golfo an. Am nächsten Morgen nach einem guten Frühstück mit selbstgebackenem Kuchen habe ich den ersten Termin mit einem jungen Sizilianer, der mir sein Ferienhaus bei Alcamo und eine Ferienwohnung am Strand von Castellammare zeigt. Francesco fährt mit mir viele Abkürzungen, die nur ein Einheimischer kennt. Die „Straßen“ sind so, wie sie in Sizilien halt nun mal überall sind, krumm, buckelig, steil, abgebrochen und übersät mit Schlaglöchern. Francesco erklärt mir mit tiefster Überzeugung, dass die Straßen in Sizilien deshalb so schlecht sind, weil es in Sizilien so viele „collini“ (Hügel) gibt und die Straßen deshalb „rauf und runter“ gebaut werden müssen. Die collini hätten wir in Deutschland schließlich nicht, da sei es ja ganz platt. Und außerdem ist es in Sizilien ja immer sehr heiß und darunter leider der Asphalt und in Deutschland sei es  immer kalt – aha, jetzt habe ich endlich die Erklärung für die vielen Schlaglöcher auf den sizilianischen Straßen. Ich erwidere nichts, mir hat es irgendwie doch die Sprache verschlagen bei dieser Argumentation.

Castellamare

Am nächsten Morgen gehe ich vom Hotel noch kurz durch die neue, kleine Fußgängerzone von Castellamare ans Meer. Unterwegs sehe ich einen Gemüsestand, der gerade aufgebaut wird. Unglaublich große Fenchelknollen, Blumenkohl und wunderbar frisches Gemüse werden dort angeboten – man bekommt Lust zum Kochen, doch leider drängen meine Termine....

 

duftende-fenchelknollen
Knackiges Gemüse, frisch und preiswert

San Giorgio

Am frühen Abend geht es weiter nach San Giorgio zum Baglio Ruffo. Hier erwartet mich Mary, die die Vermietung der vier Ferienwohnungen und des Ferienhauses in diesem wunderschönen Anwesen mit viel Liebe und Leidenschaft managt. Sie kümmert sich um mit sizilianischer Herzlichkeit um das Wohlergehen der Gäste. Dass sie in Deutschland groß geworden ist und die Sprache perfekt spricht, kommt ihr bei dem Job sehr entgegen. Sie ist für mich inzwischen eine ganz liebe Freundin geworden. Wir schauen gemeinsam die Wohnungen an, besprechen die Mietpreise, die geplanten Renovierungen und Änderungen. Alle Wohnungen werden jedes Jahr frisch gestrichen und für die Gäste hergerichtet.

Ferienwohnungen mit Meerblick in San Giorgio

ferienwohnung-la-pagliera-blick-von-der-terrasse

Gioiosa Marea

Und in Gioiosa Marea steht ein unter Denkmalschutz stehendes Ferienhaus, das der Familien des Barons Paolo gehört. Es ist ein Haus mit ganz besonderem Charme.

Ferienhaus Caferi in Gioiosa Marea

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Schuhmacher in Patti

Am Nachmittag fährt Mary mit mir nach Patti, weil der Reißverschluss des Innenfutters meiner Handtasche kaputt ist. Mary führt mich zu einer Schuhmacherei, wie ich sie noch nie in meinem Leben gesehen habe. Ich komme in zwei sehr hohe Räume, vollgestopft mit allem, was man nur annähernd mit einer Schuhmacherei in Verbindung bringen kann. Ich staune und staune. Mitten in dem (für den Handwerker sicher geordneten) Chaos sitzt der alte Schuhmacher freundlich lächelnd, ruhig und fleißig arbeitend und neugierig, was die tedesca in seiner Schuhmacherei will. Sein Sohn Fabio arbeitet inzwischen auch bei ihm im Geschäft. Die Schuhmacherei gibt es schon über 100 Jahre, hier trifft man sich auf ein Schwätzchen, auch wenn die Schuhe nicht kaputt sind. Mein Reißverschluss wird innerhalb von zwei Minuten repariert, ich muss nicht einmal den Inhalt meiner Tasche leeren (was ohnehin der Alptraum jeder Frau ist). Sono entusiasta – ich bin begeistert. Zuhause hätte ich wochenlang nach einem Schuhmacher gesucht, der fähig gewesen wäre, meine Tasche zu reparieren. Ob diese Reparatur dann wirtschaftlich noch sinnvoll gewesen wäre, bleibt fraglich. Der Schuhmacher aus Patti wollte noch nicht mal etwas für die Reparatur haben.....

 

schuhmacher-in-patti
Schuhmacherei in Patti - echt sehenswert

Lipari

Am darauffolgenden Tag habe ich einen Besichtigungstermin auf der Insel Lipari. Die Liparischen - auch Eolischen – Inseln genannt, sieht man von der Nordküste aus meistens sehr gut – sie sind zum Greifen nah. In Wirklichkeit sind sie aber ganz schön weit entfernt. Wenn das Meer dann auch noch „mosso“ oder „agitato“ ist, wird die Überfahrt länger, als einem lieb ist. Am schnellsten geht es mit einem „aliscafi“, einem Schnellboot von Milazzo aus. An diesem Tag sind Wetter und Meer grenzwertig, es gießt in Strömen mit kleinen Pausen dazwischen, aber die alsicafi fahren dennoch. Vorsichtshalber kaufe ich in einer farmacia Reisetabletten. Die Überfahrt dauert fast eine Stunde, ist aber trotz mare mosso kein Problem. An der Anlegestelle erwartet mich Sonnenschein und ein Signor, der vom Eigentümer der Ferienwohnung mit meiner Abholung beauftragt wurde. Er winkt mir lebhaft zu, begrüßt mich wortreich und reicht mich gleichzeitig nicht minder wortreich an einen jungen Sizilianer weiter, der mich zur Wohnung begleiten soll, weil er selbst einen anderen Termin hat. Kein Problem für mich. Ich steige in das verstaubte, klapprige Auto des jungen Sizilianers. Kaum sitze ich drin wird mir klar, dass ich mal wieder einen ganz festen Vorsatz gebrochen habe. Ich wollte ja nie, nie wieder in das Auto eines Sizilianers steigen. Gleich nach den ersten Metern wird mir klar, dass das ein Fehler war. Ich fahre selbst sportlich, wenn ich am Steuer sitze, aber ich bin ein ganz schlechter Beifahrer. Ich versuche krampfhaft so zu tun, als wäre alles in bester Ordnung., schaue nicht geradeaus, sondern nur seitlich aus dem Fenster. In die wunderschöne Landschaft von Lipari. Bisweilen hasche ich bleichgesichtig und unsinnigerweise nach dem Türhaltegriff. Ich wusste nicht, dass die Straße nach Acqua Calda auf dieser kleinen Insel Lipari soooo lang ist. Mein Begleiter kennt schätzungsweise jeden zweiten Bewohner dieser Insel. Er hupt, fuchtelt mit den Armen, kurbelt das Fenster runter, begrüßt, lacht, schreit, erzählt kurz den neuesten Klatsch und – man glaubt es nicht – fährt nebenbei noch Auto – und ich sitze in diesem Auto, santo cielo!! Nach einer  Haarnadelkurve  an der Steilküste hält mein junger Begleiter an, weil er bei einem Freund noch etwas abgeben muss. Auch ich steige aus und nutze die wenigen Minuten, um meine Gesichtsfarbe wieder etwas rosiger scheinen zu lassen. Mein Begleiter gönnt mir nur wenige Minuten. Ich bin gerade beim Fotoschießen, als mein sizilianischer Chauffeur mir etwas zeigen will. Er geht etwa zehn Meter von der Straße seitlich nach unten und zeigt mir lachend eine vor zehn Jahren „abgebrochene“ und ins Meer gerutschte Kurve. „Das war der Nordwind“ erklärt er mir. Erstaunlich, was der Wind hier so alles kann... Immerhin haben die Überlebenden ein Zäunchen und ein Altärchen gebaut – und sie haben eine neue Straße zehn Meter vor der abgebrochenen Straße entfernt gebaut – die vertraut darauf, dass nur noch ein Lüftchen aus dem Süden weht – aber schließlich ist ja noch das Altärchen da .... Ich mache Fotos, die aber die Realität nicht wiedergeben können. An dieser Stelle ist es soooo steil.  Wir Deutsche hätten die Überreste der Straße schon lange entsorgt, nicht so die Sizilianer, sie setzen andere Prioritäten – und das ist gut so.

abgebrochene-strasse
nicht mehr vorhandene Strasse auf Lipari .....
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Altar an der abgebrochenen Strasse auf Lipari
lipari
Lipari mit wunderschönen Stränden

Mein sizilianischer Chauffeur weiß aber noch viel mehr, er erklärt, warum nach Regenfällen die Straßen so oft durch Erdrutsche unbefahrbar werden. Daran sind die Byker und die Touristen (das Wort „deutsch“ verschluckt er) schuld, die unbedingt zu Fuß über Lipari laufen müssen. Im Sommer wird vom Radeln und Wandern die trockene Erde gelöst und bei Regen auf die Straße geschwemmt. So, jetzt weiß ich`s. Wir sind daran schuld, die Touris! Mir bleibt mal wieder die Sprache weg. Mein Sizilianer fährt mich freundlicherweise mit seinem Auto überall hin, wirklich überall – er steigt nie aus, aber er lässt michwenigstens aussteigen. Und wartet mehr oder weniger geduldig. Dabei fährt er so nah wie möglich an alles ran, an die alte Kirche, an den Aussichtspunkt, an die Bar....  Deshalb gibt es in Sizilien auch so gut wie keine Bürgersteige., hier hat man ja ein Auto, wozu braucht man dann Bürgersteige..

Moderne Villen in Capo d`Orlando

In Capo d`Orlando besichtige ich am nächsten Tag ganz ganz modern gebaute Villen mit einem Infinity-Pool und einem traumhafen Blick auf die Liparischen Inseln. Sehr edel und sehr schön...

Villa Vulcano mit herrlichem Meerblick

Landesinnere und Bonagia an der Nordwestküste

Die übrigen Tage vergehen wie immer im Flug. Neue Villen, neue Wohnungen, Vertragsverhandlungen, „alte“ Häuser wieder anschauen, was hat sich geändert, ist alles noch in Ordnung.....
An einem Abend lade ich Mary zu einem typisch sizilianischen Essen ein. Es gibt Couscous mit Fischsuppe – einfach köstlich. Mary erzählt viel, erzählt von der Mafia, von den hohen Steuersätzen, von der Arbeitslosigkeit, den normalen Gepflogenheiten der sizilianischen Arbeitgeber, die ihre Arbeiter in den Wintermonaten entlassen, weil es nichts zu tun gibt – wohlgemerkt ohne eine finanzielle Unterstützung des Staates oder des Arbeitgebers. Trotz des hervorragenden Essens und des guten Rotweins werde ich von den Erzählungen immer trauriger. Was geht es uns doch so gut.!!! Ich frage mich nur immer, woher die Sizilianer trotz allem die gute Laune nehmen.
Samstag fahre ich nach einem Geschäftstermin in Palermo langsam quer durch das Hinterland der Insel in Richtung Trapani. Es windet immer noch sehr stark, ab und an fallen auch ein paar Tröpfchen, aber dennoch begeistern mich diese wunderschöne Landschaft, die Farben, die Frische, die Fülle, das Licht – was für ein Schatz ist diese Insel und wie wenig machen die Sizilianer daraus. Aber vielleicht ist das auch gut so. Wenn nichts erneuert wird, kann auch nichts verdorben werden.
Unterwegs entdecke ich durch Zufall und wegen meiner ewigen Neugierde das Baglio Nuovo bei Fulgatore. Das Baglio ist eine Häuseransammlung auf einem Hügel bei dem kleinen Ort. Hier sind die Eigentümer gerade dabei, fünf kleine Ferienwohnungen mitten auf dem Land zu bauen. Der große Pool ist schon fertig. Es riecht würzig nach Schafen, Pferden, Eseln, -zig Hunde laufen umher, wer Erholung sucht, ist hier richtig. Der Eigentümer hat eine eigene caseificio und abends steht er in seinem ristorante und bäckt pizzen. Leider muss ich weiter, denn sehr gerne hätte ich seine Kochkünste ausprobiert.  Wir verabreden, dass ich wiederkomme, wenn die Wohnungen fertig sind – eventuell kommen wir ins Geschäft.
Sonntagmorgen ist mein letzter Termin mit Silvio, einem Sizilianer, der in Bonagia, einem kleinen Dorf bei Trapani, zwei Ferienwohnungen anbietet.

Nun hat er eine dritte Wohnung renoviert und – wie er meint – bezugsfertig gemacht. Er bringt mir zu unserem Termin feinste biscotti aus Trapani mit. Bei frischen biscotti werde ich immer schwach. Trotzdem muss ich ihm freundlich sagen, dass er vor der Vermietung  noch etwas aufräumen muss. Die Vorstellungen der Sizilianer sind in vielem doch etwas anders ... Aber Silvio ist willig. Er pflückt noch schnell von den üppig tragenden Mandarinen- und Orangenbäumen einige Früchte und schenkt sie mir. Gern würde ich von Sizilien noch sehr viel mehr mitnehmen, aber mein Koffer hat mal wieder sein bezahltes Gewichtslimit erreicht.

Ich fahre zum Flughafen Birgi, gebe meinen kleinen Fiat Panda ab und lasse das Übliche über mich ergehen.

Nach einer Woche fliege ich zurück, nicht nur der Koffer ist voll, die Eindrücke sind in meinem Kopf, die Gedanken gehen zurück zu dem Menschen, die ich wieder gesehen habe, die mir inzwischen fast Freunde geworden sind, und zu dem Menschen, die mir neu begegnet sind. Eine Woche mit vielen Eindrücken geht zu Ende.....

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